Saturday, February 04, 2006

Beethovens Neunte



Mit der Vertonung von Schillers "Ode an die Freude" für den Schlusschor seiner neunten Sinfonie besiegelte Beethoven seine lebenslange Verehrung für den elf Jahre älteren Dichter, der ihm in Worten all das vorgemacht hatte, was er sich in seiner Musik erträumte: Radikalität, Freiheitsrausch und Emphase. Schiller selbst hat seine "Ode an die Freude" später hart kritisiert. Und er fügt hinzu: "Weil sie aber einem fehlerhaften Geschmack der Zeit entgegenkam, so hat sie die Ehre erhalten, gewissermaßen ein Volksgedicht zu werden." Und Beethoven meinte über seine Sinfonie, er sehe ein, mit dem letzten Satz einen Missgriff begangen zu haben. Selten ist ein Werk im Nachhinein so gefeiert und so vereinnahmt worden wie die Neunte. Die französische Revolution machte die "Ode an die Freude" zu ihrem Credo. In Deutschland wurde das Werk im Schillerjahr 1905 neuen Zielen dienstbar gemacht: Die Sozialisten feierten Schiller nun ebenso überschwänglich wie die Bourgeoisie ihn knapp 50 Jahre zuvor bejubelt hatte. Ein Jahrzehnt danach fanden sich viele in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges wieder: keine Sinfonie, kein Schiller-Appell hatte sie vor dem Wahnwitz der Kriegstreiber retten können. Auch die Nazis sahen in der Neunten ein geeignetes Propagandainstrument. So ließ Goebbels zu Hitlers Geburtstag die Neunte spielen, dirigiert von Willhelm Furtwängler. Nach dem Zweiten Weltkrieg bemächtigte sich die europäische Demokratie der Neunten. Bei den französischen Sozialisten ersetzt die "Ode an die Freude" heute teilweise die Internationale. Mittlerweile hat sich die "Ode" zur offiziellen europäischen Hymne gewandelt. Im Jahr 2002 wurde sie in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen.